Im Frühsommer 1919 beginnt die Geschichte des Fußballsports in Großräschen. Um jedoch die Ereignisse und Begebenheiten der damaligen Zeit richtig einordnen- und verstehen zu können, ist ein Blick auf die damaligen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse unumgänglich.
Der organisierte Sportbetrieb begann Ende des 19. Jahrhunderts zunächst in den Turnvereinen, welche zu dieser Zeit wie Pilze aus dem Boden schossen. Natürlich stand zu Beginn dieser Entwicklung die Turnerei im Mittelpunkt, es folgten aber rasch weitere Sportarten, die sich im Turnverein entwickelten. Fechten, Gewichtheben aber auch erste Ballsportarten wie die damals äußerst populären Handball- und Faustballspiele entstanden. Man kann die Schirmherrschaft des Turnvereins in etwa mit dem eines heutigen Sportvereins vergleichen, der zumeist auch aus mehreren Abteilungen besteht. Mit Beginn des 20. Jahrjunderts schwappte dann aus England das Fußballfieber nach Deutschland über und es dauerte nicht mehr lange, ehe sich in den meisten Turnvereinen auch Fußballabteilungen bildeten. Natürlich gab es auch Neugründungen von reinen Fußballvereinen, aber die Mehrheit der Klubs hatte ihren Ursprung in einem Turnverein. Mit dem Neuen waren natürlich die Konflikte vorprogrammiert. Die Tradition (Turnen) traf auf das Moderne (Fußball), was sich nur selten vertrug und so kam es, dass die gegründeten Fußballabteilungen alsbald ihre eigenen Wege gingen, sprich, man spaltete sich vom Turnverein ab, benannte sich um und wurde ein eigenständiger Klub. Soweit in Kurzfassung die Entwicklung der Sport-Vereinskultur.
Ein weiterer wichtiger Punkt zum besseren Verständnis der damaligen Zeit ist der Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts bildete sich mit der zunehmenden Industrialisierung der Wirtschaft eine neue soziale Schicht, die Arbeiterklasse, heraus, die im Laufe der weiteren Jahre immer stärkeren Einfluss auf das gesellschaftliche Leben ausübte. Es entstand eine Art parallele Klassengesellschaft. Auf der einen Seite das Bürgertum, was überwiegend die Unternehmer, die Adligen und den klassischen Mittelstand beinhaltete, und auf der anderen Seite eben die Arbeiterklasse, die sich vorwiegend aus Fabrikarbeitern und mittellosen Arbeitnehmern zusammensetzte. Zwischen beiden Klassen herrschte damals eine tiefe Abneigung. Dass z.B. ein Werksdirektor in den 20er Jahren mit seinen Arbeitern bei einer Weihnachtsfeier zusammen gefeiert hätte – heute eine alltägliche Begebenheit - wäre damals
absolut undenkbar gewesen! Der Zeitungsbericht aus dem „Senftenberger Anzeiger“ zeigt die damalige Realität gut auf. Er umschreibt zwar in blumigen Worten den Konflikt, trotzdem handelte es sich um nichts weiteres als eine handfeste Saalschlägerei zwischen Arbeitern und Bürgerlichen, welche sich bei einem Tanzvergnügen in die Haare bekommen hatten. Diese Diskreptanz zwischen beiden Lagern spiegelte sich dann natürlich nicht nur im Alltag sondern auch im Sportgeschehen wider. Auch hier erfolgte die Spaltung in bürgerliche- und Arbeitersportvereine. Diese Entwicklung machte auch vor dem Fußballsport nicht halt. Generell ist es auch wichtig zu wissen, dass es in der Frühzeit des deutschen Fußballs neben dem DFB noch weitere Verbände gab, die eigene Meisterschaften austrugen und teilweise sogar Deutsche Meisterschaften ausspielten. In einem dieser Verbände, dem „Arbeiter-Turn und Sport-Bund“, kurz ATSB, organisierte sich der Arbeiterfußball und stieg in relativ kurzer Zeit zum zweitwichtigsten Fußballverband in Deutschland auf. Neben dem DFB und ATSB gab es auch noch Meisterschaften der Deutschen Turnerschaft (DT) und der katholischen Kirche (DJK). Ende der 1920er Jahre, mit der zunehmenden politischen Radikalisierung, erfolgte noch eine Spaltung innerhalb der Arbeiterklasse und für wenige Jahre gab es dann eine kommunistische Sportbewegung, die „Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit“, kurz Rotsport genannt. Erst mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten kam es infolge von Verboten und Zwangsauflösungen zur Gleichschaltung der Sportverbände. Diese Struktur ist bis heute erhalten.
Die Spaltung zwischen bürgerlichem- und Arbeiterfußball machte natürlich auch vor Großräschen nicht halt, womit für die Spielzeiten bis 1933 eine jeweils separate Betrachtungsweise der verschiedenen Vereine von Nöten wird.
==============================================
Als erster Fußballklub in Großräschen gründete sich der bürgerliche Verein FC Alemannia Großräschen. Die älteste bisher erforschte Quelle findet sich im „Senftenberger Anzeiger“ vom 17.06.1919 wieder.
Ob es sich hierbei um die Gründungsversammlung oder eine spätere Zusammenkunft handelt, liegt leider noch weiterhin im Unklaren, da der nächste Artikel, den FC Alemannia Großräschen betreffend, erst am 16.08.1919 also fast zwei Monate später erschien. Im Stadtarchiv haben aber zum Glück Bilder des Gründungsvorstands und der Gründungsmannschaft des FC Alemannia Großräschen die Zeit überdauert und sollen hier nicht vorenthalten bleiben.
Warum bei der Gründungsmannschaft nur 9 statt 11 Spieler abgebildet sind, ist bisher noch unklar. Vielleicht gehörten zum Zeitpunkt des Fotos erst diese 9 Akteure zur Mannschaft oder es fehlten einfach nur welche. Auf alle Fälle erkennt man im Hintergrund links eine Fläche mit gefällten Bäumen. Hier entstand der erste Sportplatz von Alemannia.
Bevor es nun zur Betrachtung der ersten sportlichen Aktivitäten in der Saison 1919/20 kommt, müssen noch einmal zwei wesentliche Aspekte, die geografische Einordnung und die öffentliche Berichterstattung der Presse, beleuchtet werden, um die Geschehnisse besser ver-stehen zu können.
Das Gebiet der Niederlausitz gehörte sportpolitisch gesehen bis 1933 dem „Südostdeutschen Fußball-Verband“ an.
Die fußballerischen Hochburgen befanden sich in Breslau, Forst und Cottbus. Das Niveau der Vereine der Senftenberger Region reichte zu dieser Zeit in keinster Weise an die Leistungsstärke der vorgenannten Gegenden heran. Während in den Gebieten um Breslau, Forst und Cottbus schon vor dem 1. Weltkrieg gewachsene Strukturen vorhanden waren und nach Kriegsende trotz vieler gefallener Vereinsmitglieder schnell wieder der sportliche Alltag einkehrte, begann die Entwicklung im Senftenberger Revier erst so richtig nach der Beendigung des 1. Weltkrieges. Die bereits existierenden Vereine in und um Senftenberg waren im sogenannten Süd-Gau zusammengefasst und spielten hier ihre Meisterschaften aus. Dabei darf man aber keineswegs den Fehler machen und die Maßstäbe unserer heutigen Zeit, wie z.B. geregelte Spielpläne oder klare Verfahrensordnungen usw., ansetzen. Es war im Gegenteil eine vogelwilde Zeit. Fast nach jedem Spiel wurde Protest eingelegt, es wurde zu Auswärtspartien einfach nicht angetreten, da man keine Strafen befürchten musste und es kam sogar auch vor, dass mitten in der Saison mal schnell der Verband (vom DFB zum ATSB oder umgekehrt) gewechselt wurde. Zu befürchten hatten die Vereine wenig, da sie nach dem Austritt vom alten Verband nicht mehr belangt werden konnten und der neue Verband froh war, neue Mitglieder dazugewonnen zu haben.
Eine lückenlose Aufarbeitung der Saison machte auch eine äußerst dürftige Informationspolitik der örtlichen Presse (hier der „Senftenberger Anzeiger“) zunichte, die nur sehr sporadisch in den Lokalnachrichten über Fußball berichtete. Aber auch die Vereine selbst trugen zu diesem Defizit bei. Es wurden zwar großmundige Spielankündigungen in die Zeitung gesetzt, von den Ausgängen las man dann in den nächsten Tagen allerdings selten etwas. Und wenn, dann nur über die eigenen Erfolge. Es ist in der Tat auffällig, dass eigene Niederlagen konsequent totgeschwiegen wurden und nur dann ans Tageslicht kamen, wenn der siegreiche Gegner ebenfalls einen Bericht veröffentlichte. Spielübersichten oder gar Tabellenstände gab es nicht und so muss man schon sehr gut in der Materie drin stecken, um die wenigen Informationsquellen auch richtig interpretieren zu können.
Das erste überlieferte Spiel („Senftenberger Anzeiger“ vom 16.08.1919) des FC Alemannia Großräschen fand beim schon etablierten SC Olympia Klettwitz statt und wurde klar mit 1:9 verloren. Auch die nächsten Partien machten deutlich, dass die Großräschener „Anfänger“ hinter den schon seit mehreren Jahren existierenden Vereinen wie dem VfB Senftenberg, Germania Ruhland, Askania Zschipkau, Viktoria Costebrau und auch Olympia Klettwitz (später dann in VfB Klettwitz umbenannt) leistungsmäßig noch weit zurückblieben. Aber man hatte ja gerade erst mit dem Fußballsport angefangen und so musste die erste Saison eben als „Lehrjahr“ herhalten. Es gab aber auch schon Achtungserfolge wie ein 1:0-Auswärtssieg bei Vorwärts Petershain. Da der FC Alemannia Großräschen jedoch die große Mehrzahl seiner Punktspiele verlor, ist davon auszugehen, dass am Ende wohl nur ein hinterer Tabellenplatz zu Buche stand.
Aus den eruierten Spielpaarungen und Ergebnissen ist zu erkennen, dass der Süd-Gau in zwei Staffeln spielte. Eine genaue Bezeichnung dafür gab es nicht, so dass ich der besseren Übersicht halber die Staffeln einfach in A und B unterteile.
in der Staffel A spielten: |
SC Vorwärts 1919 Petershain |
FC Alemannia Großräschen | |
SC Germania 1910 Ruhland | |
SC Askania Zschipkau | |
SC Corona 1910 Neupetershain | |
SC Hertha 1915 Hörlitz | |
SV Grube 1919 Marga | |
in der Staffel B spielten: | BC Wacker Grube Erika |
VfR Lautawerk | |
SC Viktoria Costebrau | |
SC Komet Zschornegosda (Schwarzheide) | |
FC Germania Bernsdorf | |
SC Olympia Kletwitz |
Beide Staffeln hatten die zur damaligen Zeit üblichen Teilnehmerstärken. In der Staffel A stieg der VfB Senftenberg erst verspätet in die Meisterschaft ein, da er zunächst im Gau Cottbus startete. Das beweisen zwei Heimspiel-Ankündigungsinserate im „Senftenberger Anzeiger“. Warum der VfB während der Saison einfach mal so die Staffeln wechselte, wird aus der Zeitung nicht ersichtlich. Vielleicht war es die fehlende sportliche Perspektive (nur Niederlagen) oder einfach nur, was plausibler klingt, die wirtschaftliche Situation (Kosten). Sei es wie es sei, am Ende sicherten sich die Senftenberger den Gruppensieg. Zu erwähnen wäre noch, dass der SV Grube 1919 Marga in der Winterpause plötzlich den Verband wechselte und fortan im ATSB weiterspielte. In der Staffel B ging es da schon enger zu. Im Abschlussranking belegten der SC Viktoria Costebrau und der BC Wacker Grube Erika punktgleich den ersten Platz, was zur damaligen Zeit ein zusätzliches Entscheidungsspiel bedeutete. Also trafen am 13. Juni 1920 beide Mannschaften in Ruhland erneut aufeinander, welches dann den SC Viktoria Costebrau als Sieger sah (Ergebnis wurde leider nicht im „Senftenberger Anzeiger“ veröffentlicht). Zwei Wochen später, am 27. Juni 1920, kam es dann in Zschipkau zum Endspiel der beiden Staffelsieger. Obwohl man dem VfB Senftenberg im Vorfeld die Favoritenrolle zugestand, unterlagen sie dem SC Viktoria Costebrau mit 2:3, der damit der erste Titelträger des Süd-Gaus nach dem 1. Weltkrieg wurde.
Trainer: /
Spiele:
20.07.19 | TS | SC Olympia Klettwitz - Alemannia | 9:1 |
17.08.19 | TS | Alemannia - SC Olympia Klettwitz | 1:7 |
07.09.19 | TS | Alemannia - SC Hertha 1915 Hörlitz | |
14.09.19 | MS | Alemannia - SC Vorwärts 1919 Petershain | 0:1 |
28.09.10 | MS | SC Germania 1910 Ruhland - Alemannia | 7:1 |
12.10.19 | MS | Alemannia - SC Askania Zschipkau | |
19.10.19 | MS | SC Hertha 1915 Hörlitz - Alemannia | 10:0 |
26.10.19 | TS | Alemannia - Seminar-TV Altdöbern | |
02.11.19 | MS | Alemannia - SC Corona 1910 Neupetershain | |
14.12.19 | TS | TV Germania Dobristroh - Alemannia | 1:6 |
18.01.20 | TS | Seminar-TV Altdöbern - Alemannia | 1:1 |
01.02.20 | MS | Alemannia - SC Askania Zschipkau | 0:4 |
08.02.20 | MS | Alemannia - SC Germania 1910 Ruhland | 0:5 |
22.02.20 | MS | VfB Senftenberg 1910 - Alemannia | |
14.03.20 | MS | SC Vorwärts Petershain - Alemannia | 0:1 |
28.03.20 | TS | Alemannia - TV Germania Dobristroh | 4:2 |
02.05.20 | TS | Alemannia - Seminar-TV Altdöbern | 3:1 |
23.05.20 | TS | Alemannia - SC Wacker 09 Ströbitz | |
13.06.20 | TS | Alemannia - VfB 1913 Klettwitz | |
20.06.20
|
TS
|
Alemannia - SC Wacker Viktoria III Naundorf (Sportfest in Klettwitz) |
2:1
|